O Fortuna, velut Luna statu variabilis,
semper crescis aut decrescis…
Der Himmel über uns wurde erschüttert von dem gewaltigen Chorstück zu Ehren von Fortuna, Imperatrix Mundi, Herrscherin der Welt, dem ersten Gesang der Kantate in drei Teilen: Teil I “Primo vere/Frühling”, Part II “In Taberna/In der Taverne” und Part III “Cours d’Amour”. Meine Haare stellten sich auf und meine Nerven begannen zu vibrieren.
An den Abenden des 2. und 3. September kamen die Menschen in das Amphitheater von Girne geströmt, um an dem Ereignis des Jahres “Carmina Burana” von Carl Orff teilzunehmen, einem Ereignis, das von Turgay Hilmi organisert worden war, einem uns wohl bekannten, sehr aktiven Mann und Musiker. Sein Thema hier sind musikalische Großveranstaltungen wie im Jahre 1998 Othello im Salamis Amphitheater und Mozart’s Die Entführung aus dem Serail (2000) und Die Zauberflöte (2005) in Girne. Insgesamt 150 Darsteller waren auf der Openair Bühne versammelt mit dem weiten dunklen Himmel über uns gespannt, um die jubilierenden und aggressiven Melodien von Carl Orff aufzufangen. 70 Mitglieder des Lehrergesangvereins, einem der grössten und ältesten Chöre Deutschlands, unter der Leitung von Bernd Dietrich; dann vier deutsche Solisten: Silke Schrape – Soprano; Peter Maus – Tenor; Manuel Krauss – Bariton; Klaus Bimüller – Bariton/Bass; 25 junge Chormitglieder des Kibris Sanat Chorus (TRNC Kinderchor) gegründet von Turgay Hilmi und Partner Güzem Özdeğirmenci; und 57 Musiker des Ägäischen Philharmonie Orchesters aus Izmir/Türkei, die ergänzt wurden durch Musiker aus Deutschland: zwei Pianistinnen, Ines and Katja Lunkenheimer und die Schlagzeuggruppe von Prof. Hermann Schwander von der Musikhochschule in Nürnberg. Das Zusammenspiel zwischen Chören, Solisten und Orchester war sehr gut abgestimmt und ein musikalischer Hochgenuss.
Ich hatte die Möglichkeit gehabt, mit einigen Personen, die mit der Durchführung und Planung des Projekts zu tun hatten; ebenso mit Frau Marga Beckstein, Ehefrau des ehemaligen Ministerpräsidenten von Bayern, Dr. Günther Beckstein, die zusammen mit unserer First Lady Oya Talat die Schirmherrschaft über diese musikalische Produktion übernommen hat, zu sprechen. „Für uns ist es unser erster Besuch in der Türkischen Republik von Nordzypern, ein Land, das so reich an Kultur und Traditionen ist, mit wunderschönen Landschaften und freundlichen Menschen. Ich bin stolz, dass ich die Botschafterin für den kulturellen Austausch zwischen den beiden Ländern sein kann. Ebenso anwesend waren unser Präsident Mehmet Ali Talat und der Türkische Botschafter Şakir Fakılı, der die Realisierung des Projekts durch seine finanzielle Unterstützung zum Teil erst möglich gemacht hat.
Der Carmina Burana vorangestellt waren drei berühmte Musikstücke, die, unter der Leitung von Bernd Dietrich als eine Art Begrüssungscocktail dargereicht wurden, um uns einzuführen und aufzuwärmen und auch um uns die Vielseitigkeit des Orchesters aufzuzeigen. Pietro Mascagni: Intermezzo of Cavalleria Rusticana; Guiseppe Verdi: Ouverture of La Traviata; Georges Bizet: Ouverture of Carmen. Die Mitglieder des Orchesters kamen von verschiedenen Opernhäusern und etablierten Orchestern, die während der Sommermonate zusammen in und um Izmir Festprogramme spielen. Leitung: Ali Hoca, allgemeiner Koordinator: Serdar Ongurlar, 1. Geige: Lalecan Özay und Flötist Hürkan Ayvazoğlu, Orchester Koordinator).
Während der Pause begrüsste Turgay Hilmi die Honorationen und das Publikum; die beiden Schutzherrinnen, Frau Oya Talat und Frau Marga Beckstein, und der Türkische Botschafter Herr Şakir Fakılı, betonten die Wichtigkeit des Kulturaustausches unter den drei Ländern, Deutschland, Türkei und Türkische Republik Nordzypern und darüberhinaus die persönlichen und intellektuellen Beziehungen, die über die Jahre hinweg, auch mit Hilfe von Herrn Turgay Hilmi, entstanden sind.
Die beiden Vorstellungen waren zugunsten der “Cyprus Turkish Orthopaedic Disabled Association and Special Education Foundation” ausgerichtet. Ich möchte lobend die Bereitschaft der Chormitglieder des Lehrergesangvereins erwähnen, die für ihre Reise- und Unterbringungskosten selbst aufgekommen sind.
Frau Marga Beckstein verlas noch einen Brief von Frau Liselotte Orff, der Witwe von Carl Orff, die von dem musikalischen Ereignis in Nordzypern gehört hatte und einen Gruss sandte aus ihrer bayerischen Heimt am Tegernsee, was dem Abend noch eine besonders festliche Note verlieh.
Die Lieder der Carmina Burana sind profan, voller Lebenslust, und alles handelt sich um Liebe und die Liebeswerbung im mittelalterlichen Lebensgeist, Romantik und Mystik, und der Glaube an die Göttinnnen des Glücks und der Liebe. DieSolisten mit ihren ausgebildeten und schönen Stimmen gaben der Aufführung den szenischen Ausdruck. Ich fühlte mich versetzt in einen tiefen geheimnisvollen Wald voller Elfen und Gnome, die den jungen Studenten auf ihrer Wanderschaft begegneten und die diese Schriften vor vielen Jahrhunderten zu Papier gebracht hatten. Diesen szenischen Eindruck bekam ich einen Tag nach dem Konzert bestätigt: in der website über Carmina Burana www.orff.de fand ich ein Bühnenbild abgebildet von Jean-Pierre Ponelle unter Carl Orff’s Werk.
Dieser höchst erfolgreiche Abend endete mit einer donnernden Anflehung an Fortuna, nochmals hörten wir sie in der Wiederholung, und ich für meinen Teil habe mich dieser Anflehung angeschlossen, sowie das sicher viele andere mit mir taten.
Bernd Dietrich war in dieser Produktion ein äusserst symphatischer und sensibler Dirigent, der das Orchester und die beiden Chöre mit seiner ausdrucksvollen Handsprache leitete, die sogar für mich als Uneingeweihten klar und verständlich war. Sein Mund formte die Worte, seine Mimik und die Bewegungen seines Körpers waren in Einklang mit dem Geschehen.
About Carmina Burana
Carl Orff vertonte die Strophen der Carmina Burana zwischen 1935-1937, uraufgeführt in 1937, Verse, die von wandernden Studenten in Latein, altem Deutsch oder Französisch im 13. Jahrhundert geschrieben wurden. Die Sammlung “Codex Buranus” war ursprünglich im Kloster von Benediktbeuren aufbewahrt, heute jedoch als “Codex latinus monacensis” in der Bayerischen Staatsbücherei in München. Als Carl Orff seinerzeit das handgeschriebene Manuskript zum ersten Mal im Katalog eines Würzburger Antiquariats entdeckte, meinte er, dass Fortuna es wohl gut mit ihm gemeint haben müsse.
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Zwei Tage vor dem Konzert traf ich mich mit einigen Personen aus dem Carmina Burana Team, die mit den Vorbereitungen der Produktion zu tun hatten: Turgay Hilmi, Bernd Dietrich und Dieter Herzog. Wir trafen uns im Riviera Hotel in Karaoğlanoğlu, welches sie über alle Maßen lobten ob des freundlichen und familiären Services und der zauberhaften Lage direkt am Meer. Die Tage, die sie hier verbrachten, vergingen mit Proben und kulturellen Ausflügen quer durch die Insel. Alle, die ich gesprochen habe, waren einer Meinung, sie waren beeindruckt von Natur und Kultur und besonders von der Freundlichkeit der türkischen Zyprioten. Es war für sie ein unvergessliches Erlebnis und sie versprachen wiederzukommen.
Turgay Hilmi, Honorar Kulturattaché für die Türkische Republik Nordzypern seit 1992, wurde 1957 in Nicosia geboren. Er begann mit seinem Musikstudium 1973 am Staatskonservatorium in Ankara, und graduierte im Jahre 1979. Er vervollständigte sein Studium in Nürnberg an der Musikhochschule. Zwischen 1980 und 1986 war er engagiert als Waldhornbläser bei dem Symphonie Orchester und der Staatsoper in Nürnberg. Im Jahr 1986 nahm er eine Stelle an als Dozent an der Pädagogisch-Wissenschaftlichen Fakultät der Friedrich Alexander University in Nürnberg. Im selben Jahr machte er sich als Musiker und als sein eigener Konzertagent selbstständig, gab internationale Solokonzerte und organisierte für sein Heimatland Nordzypern große musikalische Projekte. “In 1998 brachte ich 320 Musiker aus Deutschland in die TRNC für Othello im Salamis Amphitheater und mit 4.500 Besuchern war es als erste Produktion dieser Art ein Riesenerfolg. Andere Aufführungen folgten wie Die Entführung aus dem Serail (2000) und Die Zauberflöte (2005) in Kyrenia. Die Produktion für die nahe Zukunft, ein alter Traum von mir, ist Carmen.“
Turgay Hilmi’s Zusammenarbeit mit dem Chor des Lehrergesangvereins Nürnberg geht lange zurück und ist mit Freundschaften verbunden. Mit Bernd Dietrich arbeitete er an der Universität und spielte mit ihm in vielen Konzerten. Turgay Hilmi hat sein Zuhause in Deutschland sowie in Nordzypern und wird somit auf diese Weise noch lange weiter der Kulturattaché im wahren Sinne des Wortes sein.
Bernd Dietrich wurde 1945 in dem bayerischen Hof an der Saale geboren und lebte dort bis zur Vollendung seiner Schulausbildung. Danach studierte er Kirchenmusik an den Musikhochschulen in Bayreuth und München. Was waren wohl seine Gründe, Kirchenmusik zu wählen, wollte ich wissen. „Ich liebte die Musik schon als kleines Kind, durchlief meine Lehrjahre auf Violine und Flöte, aber es war das Klavier, was mich überzeugte. Meine Liebe zur Musik, dieser besonderen Musik, beruht auf dem Bachschen Verständnis; das Studium der Kirchenmusik beinhaltet nicht nur alle Aspekte des Arbeitens mit Musik, sondern lässt sie einen sich ziemlich unabhängig und frei entwickeln und seinen eigenen Weg der Interpretation finden. Ich wollte etwas Wertvolles tun, was ich eben in der Kirchenmusik und in der Barockmusik fand. Jedoch beschränkt sich meine Liebe zur Musik nicht nur auf Kirchenmusik, nein, ich liebe die Oper, ich liebe Jazz und gute Unterhaltungsmusik. Was ich chormässig oft unternehme, sind Liederabende, das sind kleine musikalische Juwelen für uns.“ Bernd Dietrich hat für verschiedene Kirchen in Deutschland gearbeitet, aber er kam immer wieder zurück nach Bayern, in seine Heimat. Er hat an der Musikhochschule gelehrt und gründete fünf verschiedene Chöre in Nürnberg. Diese Arbeit findert er äusserst belebend durch die Unterschiedlichkeit, da die Menschen in den Chören verschieden sind. Zum Abschluss sagte er noch:
“Ich möchte noch einmal auf die Vorstellungen zu sprechen kommen: Es war für uns alle ein fantastisches Erlebnis, unter freiem Himmel zu spielen und das Publikum wie in einer grossen Schale um uns herum zu wissen. Die Zusammenarbeit mit den jungen Musikern des Orchesters aus Izmir hat mich wohltuend überrascht; sie waren bestens auf Carmina Burana vorbereitet und es war für uns ein Vergnügen mit ihnen zusammen zu arbeiten. Das gilt auch für den Kinderchor “Kibris Sanat Children’s Choir.”
Dieter Herzog, Vorstandsvorsitzender des Nürnberger Lehrergesangsvereins.
Da ich gerne noch Stimmen aus dem Chor vernehmen wollte, sprach ich mit Dieter Herzog, der, zusammen mit den anderen Vorstandsmitgliedern, die Vereinsbelange leitet und zusammen mit dem künstlerischen Leiter Herrn Bernd Dietrich die Konzerte vorbereitet. Alle aus dem Vorstand sind auch aktive Chormitglieder. Von ihm habe ich erfahren, dass die Chormitglieder die Kosten für diese Reise selbst getragen haben, um vor den Menschen aus der Türkischen Repubklik von Nordzypern zu singen. Ich war sehr beeindruckt von diesem enthusiatischem Engagement in die Sache.
Dieter Herzog wurde 1961 in Gleiwitz/Schlesien geboren und studierte Theologie und ist in diesem Lehramt auch tätig. „Ich bin dem Chor des LGV 1991 beigetreten und bin seit 2001 Erster Vorstand. Der LGV ist ein Chor mit einer langen Tradition, erst im Jahre 2003 feierten wir den 125igsten Geburtstag des Chors. Heute sind wir mit 140 regelmässigen Mitgliedern eine der grössten und ältesten Chöre Deutschlands. Wir treten regelmässig in der Nürnberger Meistersingerhalle auf (drei Abonnementkonzerte mit dem Nürnberger Symphonie Orchester). Wir sind der einzigste Chor, der einen Kinder- und Jugendchor angeschlossen hat, aus dem wir unseren Nachwuchs rekrutieren.“
Ich fragte auch ihn nach den Eindrücken, die er mit nachhause nehmen wird. „Wir fühlten uns hier zuhause. Wir waren überrascht über die offene Freundlichkeit der türkischen Zyprioten und ganz besonders fühlten wir uns absolut sicher hier. Wir kommen bestimmt wieder!“